Neue Zürcher Zeitung

AUSLAND Montag, 28.02.2000 Nr.49 5  

 

Schwere Vorwürfe gegen Kolumbiens Armee

Human Rights Watch deckt Verbindungen zu Paramilitärs auf

 

Die amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat in einem Bericht die Verbindungen zwischen der kolumbianischen Armee und den rechtsextremen paramilitärischen Verbänden aufgedeckt. Diesen wird die Mehrzahl der Massaker in Kolumbien zugeschrieben. Laut dem Bericht ist die Hälfte der 18 Brigaden der kolumbianischen Armee in paramilitärische Aktivitäten verwickelt.

nw. Die in Washington domizilierte Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat in den vergangenen Jahren immer wieder mit fundierten Dokumentationen auf die teilweise engen Kontakte aufmerksam gemacht, die in Kolumbien zwischen der Armee und den paramilitärischen Milizen bestehen. Dies ist wiederholt auch von anderen Menschenrechtsorganisationen, so etwa von Amnesty International, bestätigt worden.

Als Begleiterscheinung der seit einem Jahr laufenden Friedensgespräche mit der Guerilla hat die Regierung Pastrana einige hohe Offiziere wegen der Zusammenarbeit mit den Paramilitärs suspendiert. Ein neuer Bericht von HRW zeigt indessen auf, dass die Armee nach wie vor in die Aktivitäten der Todesschwadronen verwickelt ist, denen die krassesten Menschenrechtsverletzungen und der Grossteil der Massaker im kolumbianischen Bürgerkrieg zugeschrieben werden. In einem Brief an die amerikanische Aussenministerin Albright gibt HRW an, über zahlreiche zwingende Beweise für die bestehenden Beziehungen zu verfügen, und verlangt die Einstellung jeglicher militärischen Unterstützung durch die USA. Der amerikanische Kongress soll demnächst über ein Hilfepaket von 1,6 Milliarden Dollar für Kolumbien entscheiden, das grösstenteils - unter dem Titel der Drogenbekämpfung - für das Militär bestimmt ist.

Eine Antwort auf Guerilla-Aktionen

Der Bericht der Washingtoner Organisation basiert auch diesmal wieder auf Interviews mit Untersuchungsbeamten und Augenzeugen, auf eigenen Nachforschungen und auf Erkenntnissen unabhängiger kolumbianischer Menschenrechtsorganisationen. Ins Visier nimmt HRW diesmal vor allem die 3. und die 4. sowie die 13. Brigade. Letztere hat ihr Hauptquartier in Bogotá. Sie wird mit mehreren Morden in Zusammenhang gebracht sowie mit äusserst aggressiven Einschüchterungsaktionen gegen Menschenrechtsaktivisten. Behördliche Untersuchungen legten zwingend nahe, dass die Brigade im Einvernehmen mit Carlos Castaño operierte, dem Chef der berüchtigten Autodefensas Campesinas de Córdoba y Urabá (Accu). Deren Todesschwadronen sind vor allem auf dem Land tätig, in den Städten stützt sich Castaño auf «La Terraza», eine inzwischen 1600 Mitglieder zählende Bande von Killern. Gut organisiert, können diese bei ihren Aktionen offenbar auf Informationen zählen, die sie vom militärischen Geheimdienst über die Opfer erhalten.

Die 3. Brigade, bereits in früheren Jahren in Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen bekannt geworden, hat ihr Hauptquartier in Cali. Laut dem Bericht hat sie im letzten Jahr eine paramilitärische Gruppe aufgebaut, den Frente Calima, den sie mit Waffen ausstattete und für den zum Teil Mitglieder der Accu rekrutiert wurden. Der Frente Calima, dessen Kommando ehemalige Offiziere der 3. Brigade übernahmen, war die Antwort auf eine Welle von Entführungen durch die Guerilla des Ejército de Liberación Nacional. Unterstützung erhielt der Frente auch von Drogenhändlern, die ihm wie auch der 3. Brigade oft Unterkünfte zur Verfügung stellten. Inzwischen gehen auf das Konto des Frente mehrere Dutzend Todesopfer, über 2000 Personen wurden durch Gewaltaktionen aus ihren Häusern vertrieben.

Der Bericht zitiert unter anderem einen Untersuchungsbeamten, wonach der Frente und die 3. Brigade dasselbe seien. Wichtige Informationen lieferte dazu in einem Untersuchungsverfahren unter Eid auch ein ehemaliger Informant der Armee, der mit dem Erlös aus dem Verkauf beschlagnahmter Guerilla-Waffen - ein weiteres «Geschäft» der 3. Brigade - entlöhnt worden war.

«Legalisierung» von Opfern

In Medellín hatten laut den Aussagen der Gesprächspartner von HRW die Paramilitärs zum Hauptquartier der 4. Brigade freien Zugang. Geradezu haarsträubend sind die Berichte eines ehemaligen Angehörigen der Brigade über einige der militärischen Aktivitäten dieser Einheit in den letzten beiden Jahren und über die enge Zusammenarbeit der Offiziere mit den Paramilitärs. Beide Seiten standen über Funk und über Mobiltelefone offenbar in häufigem Kontakt. Geschildert wird im Bericht auch ausführlich ein Fall aus dem Jahr 1997, bei dem Angehörige der Brigade den Todesschwadronen der Accu halfen, ein Dorf abzuriegeln und die Bewohner an der Flucht zu hindern. Fünf Tage lang sei das Dorf terrorisiert worden. Über die Hälfte der Häuser, inklusive der Kirche und der Apotheke, wurde niedergebrannt, die Wasserleitungen und die Telefonleitungen wurden gekappt.

Elf Personen wurden umgebracht, dreissig Einwohner «verschwanden». Ein Milizionär, der an der Aktion teilnahm, erklärte später in einem Verfahren, dass diese von Armee und Paramilitärs gemeinsam geplant und ausgeführt worden sei. Laut seinen Aussagen erhielten die Accu-Angehörigen für Leichen, die sie den Militärs überliessen, Munition und Granaten. Der in eine Uniform gesteckte Tote wurde zu einem im Kampf gefallenen Guerillero - man nannte dies «Legalisierung» -, denn je höher die Zahl der getöteten Feinde, um so besser die Aussicht auf Auszeichnungen und Beförderungen.

Gekaufte Informanten

Der Armeeführung Kolumbiens wirft Human Rights Watch vor, in der Bekämpfung der unseligen Allianzen zwischen Todesschwadronen und Armee untätig zu bleiben. Der damalige Kommandant der 4. Brigade, General Carlos Ospina Ovalle, ist inzwischen an die Spitze der 4. Division befördert worden. Auch andere Offiziere, die in manche Greueltaten involviert waren, haben Karriere gemacht. Zum Teil seien sie heute bei Einheiten, die von der amerikanischen Militärhilfe profitierten. HRW nennt sie ebenso beim Namen wie jene, die bei der U.S. Army School of the Americas ihre militärische Ausbildung vervollständigten. Die Zahl der Verhaftungen und Verurteilungen in Kolumbien ist verschwindend klein, Straflosigkeit weit verbreitet. Mord ist nach wie vor kein Grund, vom Militärdienst ausgeschlossen zu werden.

Zahlreiche Staatsanwälte und Untersuchungsbeamte, die die Aktivitäten der Paramilitärs, deren Verbindung zur Armee und Massaker untersucht hatten, sind inzwischen ermordet worden. Anderen gelang es, sich rechtzeitig ins Ausland in Sicherheit zu bringen, während manche ihrer Kollegen fortfahren, ihre Arbeit unter Todesgefahr zu verrichten. In Gesprächen können sie dem HRW-Bericht noch manch andere grauenvolle Details hinzufügen, sie machen aber alle auf eine zusätzliche Erschwernis aufmerksam: auf den mangelnden politischen Willen, mit den Missständen aufzuräumen, und auf den fehlenden Rückhalt des Staates für seine Untersuchungsbehörden. Schutz hatten und haben sie keinen zu erwarten. Hinzu komme, dass alle Institutionen von Informanten und Spitzeln durchdrungen seien, die sich durch die Paramilitärs kaufen liessen und diese umfassend über den Stand von Untersuchungen dokumentierten; auf die Unterzeichnung eines Haftbefehls folge eine Todesdrohung jeweils umgehend.

 

RESISTENCIA

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