Pressebüro Savanne, hyäne 3/97, Seite 6, Rubrik Medien


Die Medien und die Ausserparlamentarische Linke

Der folgende Text war für die SonntagsZeitung vom 4. Mai vorgesehen, zusammen mit einem Interview, an dem 8 Leute teilnahmen. Abgemacht war, dass entweder beides oder keins von beidem publiziert werden sollte. Es traf sich (nicht ganz überraschenderweise), dass beides gekippt wurde. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit politischen Inhalten der Ausserparlamentarischen Linken scheint bürgerlichen Medien auch dann schwer zu fallen, wenn sie sich (angeblich) vornehmen, Mythen zu knacken und Hintergründen nachzugehen. Als wir dann am Sonntagmorgen die SonntagsZeitung aufschlugen und darin einen regelrechten Hetzartikel (samt Namensnennung einiger AktivistInnen) entdeckten, waren wir froh, dass er uns nicht Seite an Seite mit unserem eigenen Text und dem Interview entgegensah.

Trotz wiederholter schlechter Erfahrungen im Kontakt mit bürgerlichen Medien halten wir es nicht für grundsätzlich unnütz, auf deren Anfragen zu antworten. Wir betrachten den Text als einen weiteren in einer langen Reihe von Versuchen, sich auf eine Auseinandersetzung mit Massenmedien einzulassen. Nicht, dass wir grosse Erwartungen gehabt hätten. Wir hatten aber das Gefühl, die Spielregeln zumindest soweit selber bestimmt zu haben, dass die Wahrscheinlichkeit, übers Ohr gehauen zu werden, eher gering war. Im schlimmsten Fall (der ja eingetreten ist) konnte die Arbeit am Text sowie die Teilnahme am Interview umsonst gewesen sein (zumindest was das ursprüngliche Ziel angeht: Publikation in der SonntagsZeitung). Wichtig erscheint uns bei solchen Versuchen, unbedingt ein Vetorecht auszuhandeln, sodass beim Gegenlesen nicht nur das Beheben faktischer Ungenauigkeiten in einem Artikel oder Interview verlangt sondern auch deren Erscheinen verhindert werden kann.


Es ist zumindest unüblich, dass eine bürgerliche Zeitung wie die Sonntagszeitung jemanden aus der ausserparlamentarischen Linken (APL) um einen Artikel bittet, dass sie den Zugang zu einer Bewegung, wele von dieser Zeitung und anderen Medien üblicherweise zu einem Mythos stilisiert wird, über eine Selbstdarstellung wählt. Es ist durchaus nicht so, dass sich Medien nie für die APL interessieren. Sie sind immer wieder scharf auf Interviews, wollen -- jedesmal dann, wenn sich eine Strassenschlacht ihren Platz auf den Titelseiten erobert hat -- (wieder einmal zum erstenmal) wissen, wer ``die Autonomen'' sind. Dieses konjunkturbedingte Interesse hat zur Folge, dass kontinuierliche Arbeit gegen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und andere Formen der Ausgrenzung und Unterdrückung, welche politische AktivistInnen leisten, höchst selten eine Nachricht wert sind.

Auch bei dieser Anfrage, in der es darum geht, die ``Mythen um die APL zu knacken'', lässt sich die Sonntagszeitung nicht die Zeit, die sie brauchen würde, um sich an das politische Selbstverständnis einer APL heranzutasten und dessen Vielschichtigkeit auszuleuchten. Innert drei Tagen muss der Artikel da sein -- ``Nächste Woche hat er seinen Newswert verloren'' -- sagt die Sonntagszeitung. Gewünscht wurde ein Artikel einer einzelnen Person. Dies steht von Anfang an (bewusst) im Widerspruch zu einer politischen Praxis, die von kollektiver Arbeit ausgeht. Deshalb war die Ausarbeitung des Konzepts selbstverständlich eine kollektive Leistung, auch wenn eine Person diesen Artikel zum Schluss ausformuliert und unterzeichnet hat.

In den Medien hat eine radikale Kritik der kapitalistischen Wirtschaftsordnung samt ihren Macht- und Aubeutungsstrukturen (hier und international) keinen Platz. Was in den 60er Jahren noch breiten Teilen der Bevölkerung vertraut war, die Analyse struktureller Phänomene in der Gesellschaft, ist in einer neoliberalen Welle untergegangen: Jedes Problem wird als Einzelfall wahrgenommen. Wenn Herr Neukomm eine Studie veranlasst, um faschistischen Tendenzen im Polizeicorps nachzugehen, wird das am Ende höchstens dazu führen, dass einige Beamte versetzt werden. Ein strukturelles Problem kann nicht auf der individualisierten Ebene einzelner Beamter gelöst werden. Und die Studie ist nicht darauf ausgerichtet, Vorschläge zur Behebung struktureller Mängel auszuarbeiten. Sie sucht nach dem Symptom faschistischer Einstellung bei Beamten, nicht aber nach den Mechanismen, welche in der Polizei Beamte dazu bringt, faschistische Ideologie zu übernehmen oder weiterzutragen. Solange die Polizei den Auftrag hat, für ``Ruhe und Ordnung'' zu sorgen, wird sie obrigkeitshörige Naziskins eher gewähren lassen (wie am 5. April) oder gar aktiv mit ihnen zusammenarbeiten (am 23. September 1995). Dagegen wird sie, zuweilen brutal (wie am 1. Mai), gegen linke AktivistInnen vorgehen, welche die Gesellschaft verändern wollen und die bestehenden Machtverhältnisse nicht akzeptieren.

Auch die Unfähigkeit der Medien zu radikaler Gesellschaftskritik liegt im Strukturellen begründet, liegt also nicht einfach an der politischen Einstellung einzelner JournalistInnen. Ein Unternehmen, das in erster Linie Geld abwerfen soll und auf Werbeeinnahmen angewiesen ist, kann einem Informationsauftrag nicht mehr umfassend nachkommen, wenn dieser im Widerspruch steht zur Gewinnmaximierung. Wenn es um politische Arbeit geht, welche auf rassistische oder sexistische Tendenzen auch bei ihren WerbeauftraggeberInnen aufmerksam macht, ist eine Zeitung nicht neutrale Berichterstatterin, sondern immer auch Partei. So bleibt die Berichterstattung systematisch lückenhaft oder in Vergangenheitsbewältigung behaftet.

Ein Beispiel einer politischen Kampagne, bei der es für Medien schwieriger war wegzuschauen, sind die Sonntagsspaziergänge 1995 auf der Kasernenwiese. Woche für Woche protestierten 60 bis 100 AktivistInnen gegen die ``Käfighaltung'' von MigrantInnen (Bezirksrichter Steiner in einer Urteilsbegründung) sowie gegen die Zwangsmassnahmen, welche diese rassistische Praxis, das Gefangenhalten von Leuten ohne Verurteilung, erst ermöglichen. Einzelne Medienschaffende nahmen die eine oder andere Geschichte auf, und der politische Druck wurde immerhin so gross, dass das Bundesgericht die Praxis des Kantons Zürich rügte. Seither hat sich die Flüchtlingspolitik des Bundes weiter verschärft, ohne dass dies für Medienschaffende ein zentrales Thema wäre. Dass die Nichtanerkennung des Flüchtlingsstatus nichts mit der tatsächlichen Bedrohung von Flüchtlingen zu tun hat, zeigen die Zahlen dieses Jahres für Algerien, immerhin ein Land, in dem viele ihres Lebens nicht sicher sind: 76 abgewiesene Gesuche und nur ein positiver Entscheid. Die Bulletins der Menschenrechtsgruppe augenauf, welche im Zusammenhang mit den Sonntagsspaziergängen (kurze) Aufmerksamkeit erregten, dokumentieren weiterhin und werden nicht wahrgenommen.

Sind aber Aktionen der radikalen Linken unübersehbar, greifen die Medien regelmässig zu einer Reihe von Methoden, um die Aktionen zu entpolitisieren. Die häufigste ist die, von ``Jugendlichen'' zu reden (auch wenn die AktivistInnen 20, 30 oder 40 Jahre alt sind) und damit radikale Gesellschaftskritik als (post-)pubertäre Ausbrüche zu deuten und abzuwerten. Dies bietet den Vorteil, dass auf politische Inhalte nicht weiter eingegangen werden muss. Der Beweis, dass die TeilnehmerInnen einer Demonstration jugendlich sind, ist einfach anzutreten: Wenn 24jährige noch als Jugendliche gelten, kann dazu (wie etwa am 1. Mai) auf die Statistik polizeilicher Personenkontrollen zurückgegriffen werden, in der erfahrenere AktivistInnen nicht erfasst werden. Eine weitere Methode der Entpolitisierung ist die Psychologisierung (Prof. Eisner im Zyschtigsclub vom 29. April: ``Den Jungen ist es langweilig, sie suchen Action.'') Eine dritte ist das Hervorheben von Gewalt (wenn es weit und breit keine gibt, wird notfalls wie am 1. Mai eine ``Gewaltbereitschaft'' konstruiert) und das gleichzeitige Ausblenden politischer Inhalte. Das Fronttransparent der 1. Mai-Demo, das zur Unterstützung des bewaffneten Kampfes der MRTA in Peru aufrief, wurde in allen Medien ausser der NZZ totgeschwiegen. Selbst auf Bildern (am Fernsehen und im Tages-Anzeiger), die Isaac Velazco, den europäischen Vertreter der MRTA zeigten, war das Transparent sorgfältig herausgeschnitten.

Im Vorfeld des 1. Mai und im Zusammenhang mit dem ``Antifaschistischen Abendspaziergang'', bei dem im Niederdorf ein Treffpunkt der Neonazis zertrümmert wurde, glaubten sich viele Leute, auch Medienschaffende, von Gewalt explizit distanzieren zu müssen. Sie meinen damit aber gemeinhin nicht jede Form von Gewalt. Nachdem Fujimoris Todesschwadronen die 14 MRTA-Mitglieder nach ihrer Verhaftung hingerichtet hatten, waren nach wie vor die Bösen die GeiselnehmerInnen, nicht deren Mörder.  Dies obwohl sie selbst bei der Stürmung der Botschaftsresidenz keine Geisel hingerichtet und bis zum Schluss moralisch einwandfrei gehandelt hatten. Wer sich ``von Gewalt distanziert'', will damit für gewöhnlich das Gewaltmonopol an den Staat abtreten. Dieses Gewaltmonopol wird etwa dort angewandt, wo PolizistInnen in Zürichs Kreis 4 und 5 auf der Strasse MigrantInnen schlagen, ausziehen und sonstwie demütigen, wie dies in den augenauf-Bulletins dokumentiert ist. Ähnliches wäre etwa, was die Ausschaffungspraxis angeht, von der Justiz zu sagen, da auf der anderen Seite die Bezirksanwaltschaft Strafverfahren gegen PolizistInnen trotz guter Beweislage einstellt und gegen die Klagenden wendet.

Um auf politische Inhalte zurückzukommen: Die APL ist kein Geheimverein. Wer sich auf deren inhaltliche Auseinandersetzung einlassen will, findet dazu eine Reihe von Publikationen und Zeitschriften. Wer sich für die politische Arbeit vor Ort interessiert, kann sie etwa in der hyäne, der Antifaschistischen Zeitung, der Aufbau-Zeitung, am Radio LoRa, im megafon, am Radio RaBe etc. mitverfolgen.

(Andrea Corti)


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Letzte Änderung 1998-11-07