Der kurze Sommer der Autobomben

 

 

Als José Asenjo am 20. Juli morgens um kurz nach Neun in der Straße Pepita Jiménez in Málaga seinen Honda Civic startete, gab es einen Knall und unter dem Auto kam Rauch hervor. Der stellvertretende Vorsitzende der PSOE Andalusiens war nochmal davon gekommen. Unter seinem Auto waren 1,5 Kilo Dynamit angebracht worden, aber nur die Zündung war hochgegangen.

Der Rest war Routine. Eine Spezialeinheit der Polizei entfernte den Sprengstoff und wenig später kamen die ersten Politiker an den Ort des Geschehens, um ihre Abscheu über diesen neuerlichen Anschlag von ETA Ausdruck zu geben.

Nur vier Tage zuvor waren sie in einem anderen Stadtteil, im häßlichen großbürgerlichen Neubauviertel Neu Málaga, aus einem ähnlichen Anlass aufgelaufen. Am 16. Juli wurde dort der malaguenische Stadtrat José María Martín Carpena von der konservativen Volkspartei PP mit vier Pistolenschüssen getötet, während er auf seinen Dienstwagen wartete.

Der Ministerpräsident Andalusiens, Manuel Chaves, erklärte nun am 20. Juli, dieser zweite Anschlag in Málaga in einer Woche ,,zeige klar und dramatisch die Absicht von ETA, mit Attentaten Druck erzeugen zu wollen. ETA zeigt, dass sie in allen Teilen Spaniens morden können, an den Sicherheitskräften vorbei." Alle Demokraten sollten ,,zusammenstehen und die Gewalt verurteilen."

Er forderte eine Mobilisierung der Bürger um Druck zu machen auf die konservative Baskisch Nationalistische Partei PNV, die im Baskenland regiert und sich weigert, die Debatten mit dem politischen und sozialen Umfeld der ETA abzubrechen, um diese über einen Dialog von Militanz abzubringen. Der sozialdemokratische Ministerpräsident der zentralspanischen Region La Mancha, José Bono, erklärte ebenfalls am 20 Juli in Toledo: ,,ETA hat mehr politische Macht als jemals zuvor in der Geschichte". Markig fuhr er fort: ,,Die Terroristen müssen von der Guardia Civil und der Polizei gejagt werden und ins Gefängnis gesteckt." Verhandlungen können es nur mit denen geben, ,,die mit erhobenen Händen kommen." Die seit zwei Wochen polarisierte Stimmung in Spanien heizte José Bono so kräftig an. Am Wochenende hat er gute Chancen, vom Parteitag der sozialdemokratischen PSOE zum neuen Parteichef gewählt zu werden. Er gilt als Favorit. Gegen ihn kandidiert Rosa Díez aus dem Baskenland, die aber gleichfalls auf eine spanisch-nationale Formierung setzt und Verhandlungen mit ETA ablehnt, die für sie ,,faschistische Terroristen" sind. Die weitverbreitete Anti-ETA-Stimmung, die im Moment alle anderen politischen Debatten in Spanien überlagert ist eine Reaktion auf die massive Sommerkampagne von ETA.

Bis zum Juni hatte ETA seit dem Ende ihrer Waffenruhe monatlich ein Attentat verübt.

Seit Anfang Juli macht ETA mindestens zwei Aktionen pro Woche.

Am 12. Juli explodierte im Stadtzentrum von Madrid morgens um 6 Uhr eine Autobombe vor einem Kaufhaus der Kette El Corte Inglés. Die dreifache Warnung der ETA vor der Explosion wurde ernstgenommen, das Gebiet geräumt. Neben hohem Sachschaden gab es trotzdem neun Verletzte. Nun gibt es gute Gründe, die BesitzerInnen dieser Kaufhauskette anzuprangern: Sie haben in den 80er Jahren der damals regierenden PSOE zweckgebundene Spenden zukommen lassen: Für die Finanzierung der polizeilichen inoffiziellen Todesschwadrone GAL, die Jagd auf vermeintliche ETA-Mitglieder in Südfrankreich gemacht haben. Davon war aber nach der auf offener Straße plazierten Autobombe keine Rede. Vielmehr konnten die dominierenden zentralspanischen Medien eine allgemeine Stimmung der Bedrohung durch ETA erzeugen.

Nach der Erschießung des Stadtrates José María Martín Carpena organisierte die nationalistische PP in Málaga die größte Demonstration in der Geschichte der Stadt. 300.000 Leute gingen einen Tag nach der Erschießung auf die Straße. Dabei hat Málaga nur 500.000 EinwohnerInnen. Die Parolen waren die bei Demos gegen ETA üblichen: ,,Málaga für die Freiheit" hieß es, oder ,,Basta Ya!" - Schluß jetzt. Viele hatten sich die Handinnenflächen weiß angemalt - ein seit 1997 gängiges Symbol, um die eigene vermeintliche Friedfertigkeit zu betonen, die verfolgte Unschuld.

Der Bürgermeister Francisco de la Torre von der PP verstand es, an das Selbstbild vieler AndalusierInnen anzuknüpfen, die sich von der ETA bedroht sehen, die ja eh aus dem reichen Norden Spaniens kommt: ,,Ihr könnt einen von uns ermorden, ihr könnt viele von uns ermorden aber solange nur ein Malaguene übrig bleibt, werdet ihr uns nicht die Freiheit nehmen!" Es gab viel Applaus für diese Worte.

Einen knappen Tag später explodierte am 18. Juli in der Nähe der nordspanischen Stadt Soria eine Autobombe vor einer Kaserne der paramilitärischen Guardia Civil. Die enorme Sprengkraft reichte aus, um an der Kaserne hohen Sachschaden anzurichten.

Noch am selben Tag hatte der spanische Ministerpräsident José María Aznar seinen großen Auftritt - natürlich mit der spanischen Flagge im Hintergrund. Obwohl beim Staatsbesuch in Algerien eigentlich andere Themen auf der Agenda standen, verkündete er in Algier einmal mehr seine harte Linie: ,,Sie werden uns nicht in die Knie zwingen." Die ETA könne seine Regierung nicht von ihrem Weg abbringen: Dass dies eine rein repressive Antwort auf die Aktionen von ETA bedeutet, brauchte er nicht ausdrücklich zu sagen. Letztes Jahr wurde Aznar noch stark von der staatstragenden Opposition, der PSOE und etlichen Regionalparteien dafür kritisiert, dass er das Angebot der ETA zu Verhandlungen nur zum Schein angenommen hat. Es ging der PP nur darum, möglichst die gesamte Leitung von ETA dingfest zu machen. Das gelang. Es gab etliche Festnahmen, ETA brach die Verhandlungen ab und griff wieder zu den Waffen.

Die Polizei geht davon aus, das die Anschläge in Madrid und Málaga von neuen ETA-Gruppen ausgeführt wurden, die über genaue Kenntnisse und Strukturen vor Ort verfügen: Das ,,Kommando Madrid" und das ,,Kommando Andalusien". Eigentlich ein Zeichen dafür, das der Konflikt um das Baskenland nur politisch und nicht militärisch gelöst werden kann - vor zwei Jahren hat die Polizei die vorige Generation dieser Kommandos verhaftet, die für Jahrzehnte im Knast bleiben müssen.

Im Baskenland selbst gibt es mehrere aktive Gruppen von ETA. Das ,,Kommando Bizkaia" hat die laufende Anschlagserie begonnen. Allerdings ging es bei der Autobombe, die sie am 25. Juni in Getxo bei Bilbao zündeten, nicht vorrangig um eine militärische Konfrontation und Polarisierung wie bei den Anschlägen der letzten Wochen. Der weiße Mercedes, der vollgepackt mit Dynamit um Mitternacht hochging, richtete hohen Sachschaden an. Es gab zwei Vorwarnungen, die Straße wurde geräumt. Der Anrufer erklärte, dieser Anschlag richte sich ,,gegen die Finanzoligarchie". Der Stadtteil Neguri in Getxo ist beliebt bei der regionalen Bourgeoisie des Baskenlandes. Im Umkreis von einem Kilometer um das explodierte Auto wohnen etwa mehrere Mitglieder des Aufsichtsrates der Bank von Bizkaia, der BBVA, zweitgrößter Bank Spaniens und ihr Präsident Emilio Ybarro. Ebenfalls Anwohner ist der Präsident des ,,Rates Baskischer Unternehmer", Alfonso Basagoiti.

Die baskische Regionalregierung beeilte sich auch sofort, diesen Anschlag schärfstens zu verurteilen. Javier Balza, der regionale Innenminister, erkannte hinter der Autobombe von Getxo das Mahnwesen von ETA, mit dem die ,,Revolutionssteuer" eingefordert wird. ETA hat seit Mai wieder verstärkt Briefe verschickt an Kapitalisten, in denen diese zur Zahlung von jeweils nach den Unternehmensgewinnen festgelegten Geldsummen aufgefordert werden. Mit Revolution hat das wenig zu tun, mehr mit einem eigenen Inkassobetrieb zur Finanzierung von ETA. Die Reichen von Getxo, aufgebracht über den Anschlag vor ihren Haustüren, beschimpften den Bürgermeister von Getxo, Iñaki Zarraoa von der PNV. Sie machen die PNV dafür verantwortlich, das ETA wieder agieren kann.

Am 25. Juli zündete ETA erneut nach einer kurzfristigen telefonischen Warnung eine Autobombe im Stadtteil Neguri in Getxo: Diesmal vor dem Haus der für die PP im spanischen Senat sitzenden Parlamentarierin Pilar Aresti. Dieser Anschlag trifft doppelt: Zum einen die PP, von deren Kommunal- und LandespolitikerInnen ETA dieses Jahr schon fünf getötet hat, zum anderen wieder die Bourgeoisie im Baskenland: Pilar Aresti kommt aus einer traditionellen Kapitalisten-Familie, ein Onkel von ihr wurde 1980 von ETA erschossen, weil er sich weigerte die ,,Revolutionssteuer" zu bezahlen.

PNV ist unter Druck, weil sie in zahlreichen Rathäusern mit der Partei Baskische Bürger, EH, kooperieren, die sich nie von der ETA distanziert. Seit dem 20. Juli hat die PNV nun begonnen, in zahlreichen Stadträten jede kommunale Zusammenarbeit mit EH aufzukündigen. Angefangen mit Basauri, folgen täglich weitere kleinere Städte: So etwa am 20. Juli Beasain, Bergara und Deba. Der Druck seitens der zentralspanischen Parteien gegen PNV geht trotzdem weiter. Die PNV solle sich wieder den spanisch-nationalen Interessen unterordnen. Die PP, mit der PNV bis zu ihrem Rausschmiß letztes Jahr gemeinsam in der christdemokratischen Europäischen Volkspartei sass, ist dabei federführend. Kaum ein Regionalpolitiker der PP schwingt sich derzeit nicht zum Ritter gegen ETA auf. So erklärte der Vorsitzende der PP in Katalonien, Alberto Fernández Díaz, dass ,,EH die politische Kapuze der ETA sei" und die PNV ,,endgültig brechen soll mit allen jenen Gruppen und Formationen, welche die Gewalttätigen unterstützen." Gleichzeitig verschärft die spanische Justiz wieder die Verfolgung politischer Einrichtungen, die als ETA-nah gelten: So forderte der Untersuchungsrichter Baltasar Garzón am 21. Juli, das die linksnationalistische Tageszeitung Gara die Schulden von Egin übernehmen soll. Die Zeitung Egin wurde im Juli 1998 auf Betreiben Garzóns verboten und geschlossen. Wenn Gara die seitdem aufgelaufenen Schulden von Egin bezahlen müsste, wäre Gara pleite.

Wenngleich der Schwerpunkt der ETA-Anschläge wie bei den Sommerkampagnen seit Jahren üblich außerhalb des Baskenlandes liegt, wird auch dort weitergebombt. Am 21. Juli durchsuchte die Nationalpolizei eine offensichtlich von einem ETA-Kommando genutzte Wohnung in der Straße Federico García Lorca in Vitoria-Gasteiz. Dort befanden sich neben einigen Waffen auch neun fertig vorbereitete Bomben, die wie die in Málaga, unter Autos angebracht werden, neben weiterem Dynamit. Insgesamt 70 Kilo, die laut Polizei aus dem Dynamitraub in der Bretagne vom September 1998 herkommen. Die Polizei fandet nach einigen Mitgliedern der linksnationalistischen Jugendorganisation Haki, welche die Wohnung angeblich gemietet haben. Falls sie verhaftet werden, bedeutet das Jahrzehntelang Knast. Bereits in der Nacht zum 19. Juli ließ ETA eine Bombe in einem Einkaufszentrum von Vitoria-Gasteiz explodieren: Wieder hoher Sachschaden - und ein klares Signal an die regionale baskische Regierung der PNV, die in Vitoria ihren Sitz hat. ETA will die PNV und die mit Ihr verbündete EA dazu bringen, mit den spanisch-nationalen Parteien zu brechen und auf die Unabhängigkeit des Baskenlandes von Spaniens hinzuarbeiten. Die verstärkte Remilitarisierung des Konfliktes um spanische versus baskische Nation seitens spanischer Polizei und ETA stört die regionalistische Standortpolitik der PNV massiv. Während es in ganz Spanien einen Bauboom gibt, ist der Häuserbau seit dem Ende der Waffenruhe von ETA im Baskenland drastisch zurückgegangen: 28,7 Prozent weniger Bauaktivität als im Vorjahr.

Gaston Kirsche (gruppe demontage)