Neue Zürcher Zeitung Nr. 213/99, 13. September 1999. Selbstmord des «Ausbrecherkönigs» Stürm

stb. Frauenfeld, 13. September

Der 57jährige Walter Stürm, der in seinem Leben immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten, vor allem aber wegen spektakulärer Ausbrüche und Hungerstreikaktionen in die Schlagzeilen der Medien gekommen war, hat in der Untersuchungshaft im Thurgauer Kantonalgefängnis Frauenfeld Selbstmord begangen. Ein Gefängnisbeamter hatte ihn am Montag morgen um sieben Uhr tot in der Zelle aufgefunden. Erste Vermutungen, dass sich Stürm mit einem übergestülpten, laut Polizeiangaben «regulär in den Zellen aufliegenden» Kehrichtsack erstickt hatte, wurden im Verlauf des Tages vom zur näheren Abklärung beigezogenen St. Galler Institut für Rechtsmedizin bestätigt. Fremdeinwirkung könne ausgeschlossen werden. Ein oder mehrere Abschiedsschreiben habe Stürm nicht hinterlassen, teilte die vom Selbstmord überraschte Thurgauer Kantonspolizei weiter mit.

Suizidgefahr oder nicht?

Darüber, ob bei Stürm Suizidgefahr bestanden habe, gehen die Ansichten auseinander. Der Thurgauer Polizeisprecher Rolf Müller versicherte, dass man dem Inhaftierten bei direkten oder indirekten Hinweisen auf eine solche Gefährdung gewiss keinen Abfallsack in die Zelle gegeben hätte. Tatsächlich jedoch habe Stürm einen «verhältnismässig ausgeglichenen», ja «lockeren» und «ziemlich aufgestellten» Eindruck gemacht. Auch sein Gesundheitszustand sei als stabil beurteilt worden. Umgekehrt wies Stürms Anwältin Barbara Hug gegenüber der Nachrichtenagentur AP darauf hin, ihrem Mandanten sei es in letzter Zeit psychisch sehr schlecht gegangen; persönliche Kontakte habe er vernachlässigt. Des weiteren hätten psychiatrische Gutachten schon vor Jahren ergeben, dass er latent suizidgefahrdet sei.

Familienangehörige neigen ebenfalls zur Ansicht Hugs. Zwar habe Walter Stürm zuletzt tatsächlich Besuche abgelehnt, so dass es selbst Verwandten schwergefallen sei, sich ein Bild über seine Verfassung zu machen. Doch gerade bei latent Suizidgefährdeten könne ein solches Verhalten durchaus als Zeichen dafür gedeutet werden, dass jemand einen «definitiven Entscheid in Freiheit» treffen wolle, sagte ein Mitglied des Familienkreises. Im übrigen habe Stürm bereits früher Selbstmordversuche unternommen.

Aussageverweigerung in der Haft

Verschlossen zeigte sich Stürm auch gegenüber den Thurgauer Untersuchungsbehörden. Im Verlauf der Ermittlungen, die gegen ihn und den fast gleichzeitig - am vergangenen 10. März - verhafteten Hugo Portmann wegen des Verdachts auf Banküberfall und Geiselnahme in den thurgauischen Gemeinden Hom und Simach geführt wurden, verweigerte er die Aussage. Zwei Haftentlassungsgesuche wurden vom Bundesgericht beziehungsweise von der kantonalen Anklagekammer abgelehnt. Sowohl der dringende Tatverdacht als auch eine erhebliche Fluchtgefahr seien zu bejahen, begründeten die Lausanner Richter ihren Entscheid von Ende April.



Ein Leben lang eingesperrt oder auf der Flucht

tom. Walter Stürm hat durch seine insgesamt acht Buchten in der ganzen Schweiz als «Ausbrecherkönig» eine zweifelhafte Berühmtheit erlangt. Im Alter von 20 Jahren kam der St. Galler, der in seiner Jugend schnelle Autos liebte, im Zusammenhang mit dem Verkauf von gestohlenen Sportwagen zum erstenmal mit dem Gesetz in Konflikt. Später beging er Einbrüche. 1972 wurde er vom Obergericht des Kantons Zürich wegen bandenmässigen Raubes, Diebstählen und anderer Delikte zu achteinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, daraufhin in die Strafanstalt Basel verlegt, wo er 1974 zum erstenmal ausbrach. 1976 konnte er wieder festgenommen werden, entwich aber wenig später aus der Strafanstalt Regensdorf.

1977 wurde er in Italien verhaftet und an die Schweiz ausgeliefert. Im Bezirksgefängnis Lenzburg blieb er jedoch auch nicht lange. Im März
1978 schlug er den Schlosszylinder an einem Eisengitter heraus und sägte einen Fensterriegel durch. Bereits zwei Wochen später fand seine Flucht in der Nähe von Lausanne ein Ende, und er wurde nach Regensdorf zurückgebracht. Dort befreiten ihn Helfer in der Nacht auf den 26. Juni 1979 gewaltsam. Sie schlugen einen Aufseher nieder, der dabei eine Himerschütterung erlitt. Im November des gleichen Jahres konnte Stürm im Kanton Waadt wieder verhaftet werden.

«Bin Eier suchen gegangen»

Der aufsehenerregendste Ausbruch gelang Stürm am 13. April 1981. Er sägte in Regensdorf ein Fenstergitter durch, seilte sich in den Gefängnishof ab und gelangte auf einer bereitgestellten Leiter ins Freie. Auf einen Zettel vermerkte er: «Bin Eier suchen gegangen.» Am 4. Januar 1984 stieg Stürm - wieder in Regensdorf - mit einer selbstgebastelten Leiter über die Aussenmauer. Im März 1986 wurde er verhaftet.

Von linken politischen Kreisen wurde der Berufskriminelle immer wieder zu einer Symbolfigur hochstilisiert. Weil er in die Sicherheitsabteilung verlegt wurde, trat Stürm am 11. März 1987 in einen Hungerstreik, den er erst am 27. Juni 1987 wieder abbrach. Während dieses Streiks kam es zu zahlreichen Aktionen von Sturm-Sympathisanten und Gegnern der Isolationshaft. Unter anderem wurden das Haus der Zürcher Justizdirektorin Hedi Lang und das Sekretariat der Sozialdemokratischen Partei des Kantons Zürich besetzt.

Am Morgen des 22. Februar 1988 wurde Stürm in Begleitung eines Strafvollzugsbeamten aus der Strafanstalt Regensdorf in das Zürcher Universitätsspital gebracht, um sich physiotherapeutisch behandeln zu lassen. Durch eine Nebentüre ging Stürm einfach aus der Umkleidekabine weg, während der Beamte ahnungslos vor der Kabine wartete. Stürm hatte damals dem Regensdorfer Strafanstaltsdirektor Hans Ulrich Meier sein «Ehrenwort» gegeben, nicht mehr zu fliehen, worauf auf besondere  Sicherheitsmassnahmen  verzichtet worden war. Nach 16monatiger Flucht konnte Stürm Ende Juni 1989 auf der Insel Gomera festgenommen worden, wo er sich unter anderem mit einem ultraleichten Fluggerät die Zeit vertrieben hatte. Im Januar 1990 wurde er an die Schweiz ausgeliefert.

Im Gefängnis von Brig unternahm Stürm im Juni 1992 einen Selbstmordversuch. Im Kantonsspital Genf trat Stürm dann einmal mehr für 120 Tage in den Hungerstreik, um gegen die von ihm behauptete Verschleppung seines Prozesses durch die Walliser Justiz zu protestieren. Wegen weiterer Delikte, die er zwischen 1984 und 1986 in den Kantonen Wallis, Freiburg, Waadt, Neuenburg, Bern und Graubünden verübt hatte, wurde Stürm am 31. März 1993 vom Walliser Kreisgericht zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Walliser Kantonsgericht reduzierte die Strafe am l. Juni 1994 auf zehneinhalb Jahre. Mit einem Urteil der jurassischen Strafkammer wurde die Strafe am 23. Februar 1995 um weitere zweieinhalb Jahre erhöht. Am 30. Mai 1995 lief Stürm dann während eines Hafturlaubs einfach davon. Er hatte an einem Ehrverletzungsprozess gegen einen «Blick»-Journaiisten teilgenommen, der ihn in einem Artikel als Bankräuber bezeichnet hatte.

Erste Entlassung nach 27 Jahren

Nach viermonatiger Flucht wurde Stürm im September 1995 in Strassburg aufgegriffen und im Oktober 1995 in Colmar wegen Annahme einer falschen Identität, Urkundenfälschung und Hehlerei zu weiteren drei Jahren Gefängnis verurteilt. Im August 1997 erfolgte seine Auslieferung an die Schweiz. Kurz danach trat Stürm erneut in einen Hungerstreik. Am 20. September 1998 wurde er dann bedingt aus der Luganeser Strafanstalt La Stampa in die Freiheit entlassen. In La Stampa hatte er den als sehr gewalttätig bekannten Gewohnheitsverbrecher Hugo Portmann kennengelernt, der im Februar 1999 aus dem Strafvollzug entwich. Zusammen mit Portmann wurde Stürm im März 1999 im Laufe einer Fahndung nach einem Banküberfall, der im thurgauischen Hom verübt worden war, wieder festgenommen und im Alter von 57 Jahren - erneut in Untersuchungshaft gesetzt.


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Walter Stürm / Pressebüro Savanne / savanne@savanne.ch
Letzte Änderung 2000-09-30