WoZ Nr. 12/93, 26.3 1993 (S. 4)

Walter Stürm vor dem Walliser Prozess: Zuversichtlich

Es reicht, wenn die Richter neutral sind

Am 29. und 30. März steht Walter Stürm wieder einmal vor Gericht. Diesmal im Wallis, hier soll er vor gut acht Jahren eine Vielzahl von Einbrüchen verübt haben. Wir besuchten Stürm im Briger Untersuchungsgefängnis.

Interview: Marianne Fehr

Wie geht es dir, seit du in Pruntrut zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden bist?

Reden wir nicht drüber! Lies das Urteil, lies die beiden Kassationsbeschwerden meines Anwalts. Von all den Beweisen, die im Prozess genannt wurden, stehen heute nicht mehr viele im Urteil. Fast das einzige, was heute noch bleibt, sind die Aussagen meines angeblichen Komplizen Rietmann, die dieser während der Untersuchung gemacht hat und die durch nichts bewiesen sind. Er hat diese Aussagen übrigens im Juni 1991 durch eine schriftliche Erklärung an den Untersuchungsrichter vollumfänglich zurückgezogen und hat sie bekanntlich auch vor Gericht nicht wiederholt. Ausserdem finden sich im schriftlichen Urteil noch eine Aussage einer Frau, die mich in Boécourt zehn Tage vor dem Hold-up gesehen haben will: Der Polizei sagte sie, ich hätte einen Schnauz getragen, gegenüber «La Suisse» meinte sie, ich hätte einen Bart gehabt.

Du rechnest also mit einem Erfolg der Kassationsbeschwerden?

Sicher. Wenn es mit rechten Dingen zugeht, können sie gar nicht anders, als dieses Urteil aufheben. In dieser Sache geht es mir nicht darum, ob sie mir ein Jahr oder zwölf Jahre aufgebrummt haben. Ich hätte auch bei einer einjährigen Haftstrafe rekurriert. Denn ich bin es nicht gewesen, dazwischen gibt es nichts.

Worum geht es im Walliser Prozess, der nächste Woche stattfindet?

Um viele Einbrüche aus den Jahren 1984/85, die ich angeblich mit Michele Rignanese verübt haben soll. Unter anderem den Einbruch in den Polizeiposten von Haute Nendaz, wo Rignanese geschossen hat, nachdem ein Polizist auf ihn losgegangen ist und ihn in den Schwitzkasten genommen hat. Laut Anklageschrift ist Michele Rignanese sogar bei einer Serie von Einbrüchen beteiligt gewesen, die in eine Zeit fallen, als er in Italien im Knast sass. Die Welt ist halt voller Wunder. Rignanese ist hier im Wallis unter Bedingungen gefangengehalten worden, die man keinem Tier zumuten würde: Er ist deshalb heute psychisch ein Wrack. Nach einigen Monaten unter diesen Haftbedingungen hat er dem Untersuchungsrichter Josef Pitteloud geschrieben, er übernehme die Verantwortung für alle Delikte, die je in der Schweiz begangen worden seien. Dann hat er auch eine Serie von Einbrüchen zugegeben und erklärt, er habe diese zusammen mit einer anderen Person, deren Namen er nicht nenne, verübt. Einige Monate, nachdem ich verhaftet wurde, sagten die Polizisten zu Rignanese, besagte Person sei ich, und ich hätte alles zugegeben. Daraufhin bestätigte er dies. Als es vier Jahre später, also 1990, endlich zu einer Konfrontation kam, meinte Rignanese, er kenne mich zwar, habe aber nie mit mir gestohlen.

Wie sind die Richter im Wallis einzuschätzen?

Ich kenne keinen von den dreien. Mit dem Gerichtspräsident Amédée Steiner habe ich schriftlich zu tun, er ist sehr korrekt. Erstaunlich, dass es so etwas im Wallis gibt, denn meine bisherigen Erfahrungen sind völlig anders. Mir reicht es, wenn die Richter neutral sind.

Vor dem Pruntruter Prozess hat man auch mit gerechten jurassischen Richtern gerechnet.

Wir alle haben diese Situation vollkommen falsch eingeschätzt, wir haben unsere positiven Gefühle für den Jura auf das Gericht übertragen. Wir wollten ja sogar diese Walliser Sache im Jura zur Sprache bringen und diese beiden Prozesse dort zusammenlegen: Das wäre ganz schön schief herausgekommen, ich hätte wahrscheinlich lebenslänglich bekommen.

Wollte der Jura mit diesem Urteil der restlichen Schweiz zeigen, wie angepasst man in Gerichtssachen ist?

Nein, das hängt mit der speziellen Situation dort zusammen. Im Jura gibt es keinen einzigen Anwalt, der etwas taugt, man sieht das bei den «Fällen», die im Knast sitzen. Die Anwälte reden ein bisschen vor Gericht, was vorher gewesen ist und was nachher ist, interessiert sie nicht. In Zürich kommen viele Sauereien in den Gefängnissen nicht mehr vor, weil die Anwälte immer reklamieren. Im Jura reklamiert nie ein Anwalt, die halten offenbar die dortigen Haftbedingungen für völlig normal. Dass es im Jura jetzt ein neues Gefängnisreglement gibt, ist nicht den dort tätigen Anwälten zu verdanken sondern mir. Als ich 1990 zum erstenmal im Jura inhaftiert war, galt ein Gefängnisreglement, das unverändert dem Berner Reglement aus dem Jahr 1954 abgeschrieben war, genauso die Strafprozessordnung. Auch die Richter wurden vom Kanton Bern übernommen.

Wie ist deine Haftsituation jetzt?

Ich lebe in einer Zelle, in der man viel zu wenig Luft bekommt. Eine Stunde pro Tag kann ich jetzt zu zweit spazieren: auf einer nach allen Seiten vergitterten Terrasse, wie in einem Vogelkäfig. Eine Zeitlang hatte ich mit einem Gefangenen Hofgang, der mir ständig erzählte, ich müsse aufpassen, was ich sage, denn sein Zahnarzt hätte ihm ein Mikrophon in den Zahn eingebaut. Das hat einem gerade noch gefehlt, dass man sich nach 23 Stunden allein in der Zelle einen solchen Mist anhören muss.

Was machst du den ganzen Tag?

Ich bin voll beschäftigt mit Korrespondenz. Jeden Brief muss ich mindestens dreimal schreiben. Ich vergesse immer wieder Wörter, schreibe den Brief noch einmal und merke am nächsten Tag, dass ich das wichtigste vergessen habe. So etwas ist mir früher nie passiert. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Auch beim Lesen geht es mir so. Hatte ich früher den «Spiegel» in drei Stunden gelesen, brauche ich dafür heute eine Woche, weil ich jeweils plötzlich den Inhalt nicht mehr verstehe. Stell dir das mal vor: Ich bin seit drei Jahren 23 Stunden in dieser Zelle und sehe keinen Knochen, da verliert man die Konzentrationsfähigkeit. Wenn ich jetzt mit dir rede, bin ich ständig gefordert, weil ich eine Antwort geben muss. Das verlernt man, wenn es der Ausnahmefall ist.

Vor Bundesgericht hast du einen kleinen Teilsieg errungen: Eine Tonbandkassette und ein Brief von dir sind widerrechtlich vom Untersuchungsrichter zurückgehalten worden.

Wichtig bei diesem Urteil ist, dass man jetzt das Recht hat als Gefangener, statt einem Brief eine Tonbandkassette zu schicken. Das ist das erste derartige Urteil. Beim Brief an die Frau von Amnesty International - das war übrigens eine Falschmeldung, denn sie arbeitet gar nicht dort - hat das Bundesgericht beanstandet, dass ich den Untersuchungsrichter Josef Pitteloud übel beschimpfe. Ich akzeptiere das nicht, sondern ziehe den Fall nach Strassburg weiter. Denn niemand kann mir verbieten, in einem privaten Brief jemanden zu beschimpfen. Rechtlich relevant wird diese Beschimpfung nur, wenn sie veröffentlicht wird, aber solange ich mich im privaten Rahmen äussere, ist das meine Sache.

Zwischen dir und Untersuchungsrichter Pitteloud scheint ein Privatkrieg zu herrschen.

Im Wallis herrscht ein Untersuchungsrichter wie ein König; er untersteht keiner Kontrolle. Steckt dich in Zürich ein Bezirksanwalt über längere Zeit in die Kiste, muss er diese Massnahme immer wieder verlängern lassen - nicht so hier. Bis 1987 war der Untersuchungsrichter, der die Strafuntersuchung geführt hat, danach auch der Präsident des urteilenden Gerichts. Bei der Inhaftierung 1986 sagte mir Pitteloud, er führe die Strafuntersuchung durch und sei nachher auch Präsident des urteilenden Gerichts. Wenn ich nicht mit ihm kooperiere und also nicht aussage, dann werde mich das teuer zu stehen kommen. Ob dieser plumpen Drohung bin ich ausgerastet und habe ihn einen aufgeblasenen Sack genannt und eine staatsrechtliche Beschwerde in Aussicht gestellt. Daraufhin liess er mich in eine der beiden Folterzellen von Sitten sperren, aus der ich erst durch einen Hungerstreik herauskam - Freunde wurde wir so natürlich nicht. Während den sieben Jahren, in denen er an dieser Strafuntersuchung herumbastelte, habe ich ihn alles zusammengerechnet aber höchstens während zwei Stunden gesehen.

Wann kommst du wieder raus?

Wenn ich gehen wollte, ist es bis jetzt noch immer gegangen. Ich würde gerne auf normalem Weg herauskommen und warte die Walliser Gerichtsverhandlung ab. Danach sollte der Haftbefehl aufgehoben sein, denn selbst wenn man mir eine Zusatzstrafe aufbrummt, habe ich ja schon vier Jahre Untersuchungshaft abgesessen. Sie könnten mich also nur noch für die Jurasache behalten, und die «verhebet» wie gesagt überhaupt nicht. In einem solchen Fall würde ich sofort wieder in einen Hungerstreik treten.

Noch ein Hungerstreik: Verkraftest du das?

Noch länger im Knast oder ein Hungerstreik - das kommt aufs gleiche heraus.


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Walter Stürm / Pressebüro Savanne / savanne@savanne.ch
Letzte Änderung 2000-09-30